Nachtrag zum 11. Juni – Internationaler Tag der Solidarität für Marius Mason und allen anarchistischen Langzeitgefangenen. Auf Grund der Post kam der Beitrag ein bisschen später, soll aber an dieser Stelle trotzdem veröffentlicht werden.
Millionen Menschen sitzen in den Knästen und Verliesen der Machthaber*innen dieser Erde. Unzählige sitzen in den Todestrakten. Andere sitzen für Tage, für Wochen oder für Monate ein. Wieder andere seit Jahrzehnten. Erst vor ein paar Wochen wurde aus Baden-Württemberg vermeldet, dass Hans-Georg endlich freikommen soll. Es ist der 20. Januar 1962, als sich hinter ihm die Berliner Gefängnistore geschlossen hatten – seit diesem Tag sitzt er in Haft. Seit 1962! Er hatte nach einem Überfall zwei Menschen erschossen.
Langzeitinhaftierung, sie ähnelt auf gewisse Weise der Todesstrafe. Nur ist auf perfide Art bei der Todesstrafe der Staat ehrlicher, er will die Deliquent*innen ganz offen umbringen. Bei der jahrzehntelangen Inhaftierung ist jedoch der Tod die oftmals realistische Aussicht, den Mauern zu entfliehen. Und auf dem Weg dorthin verkümmern Leib und Seele.
In Europa gibt es neben der lebenslangen Freiheitsstrafe noch das Instrument der Sicherheitsverwahrung. Dort sitzen die Menschen dann nach offizieller Lesart rein präventiv hinter Gittern. Um also eventuell in der Zukunft mögliche Taten zu verhindern. Gestützt auf Vorhersagen, die nicht viel besser und zuverlässiger sind als die Wetterprognosen für den nächsten Monat. Seit Langem schon werden die Abteilungen der „Sicherheitsverwahrung“ Totenhäuser genannt. Denn in diesen scheint mensch eher zu sterben als entlassen zu werden.
Auch wenn die materiellen Haftbedingungen das physische Überleben erlauben, ist das Leben seelisch und körperlich dennoch zermürbend. Jene, die über Kontakte zur Außenwelt verfügen, können dies mithilfe von Freundinnen ein wenig auffangen. Andere hingegen verlieren über die lange Zeit des Weggesperrt-Seins ihren Verstand. Sie vertrocknen zu scheinbar seelenlosen Mumien. Rennen gegen die Betonwände! Verletzten sich selbst! Verletzten andere! Schlucken die Produkte der Pharmaindustrie von den Knastärztinnen großzügig verteilt oder versorgen sich auf dem Schwarzmarkt mit Drogen.
Langzeitknäste sind mit die dunkelsten, finstersten Orte der Gesellschaften. Dort soll das angeblich Böse gebannt, eingekerkert, ausgemerzt werden. Dabei reicht doch ein Blick in eine beliebige Zeitung! Das Böse ist nicht verschwunden, es ist nicht gebannt. Die Vorstellung durch das Wegsperren von Hunderttausenden Menschen über Jahrzehnte würde diese Welt nur einen Jota besser, ist eine Illusion. Und eine Vorstellung, welche die Gesellschaften und deren Machthaber*innen benötigen, schon als Drohkulisse für kommende Aufstände:
„Seht her – wir werden euch nicht sofort umbringen, wir werden Euch in die dunkelsten Löcher werfen. Dort werdet ihr bis zu Eurem natürlichen Lebensende dahin vegetieren!“
Hierauf will der Internationale Tag der Langzeitgefangene am 11. Juni besonders das Augenmerk lenken. Der Tag gibt Einzelnen ein Gesicht. Einen Namen. Er holt Menschen an das Licht der Öffentlichkeit. Er spendet Kraft. Er sendet ein Zeichen von Mut und Entschlossenheit. Der Tag beweist, dass es Menschen gibt, welchen das Schicksal derer, die seit Langem weggesperrt sind, nicht egal ist. Die für eine Veränderung kämpfen wollen!
Zusammen mit jenen, die Gittern sitzen!
Seit´ an Seit´: Für eine Gesellschaft ohne Gefängnisse!
Thomas Meyer-Falk
in Haft seit 12. Oktober 1996
Ihr könnt Thomas gerne Briefe schreiben und Neuigkeiten von ihm auf seinem Blog verfolgen:
Thomas Meyer Falk
JVA (SV-Abtlg.)
Hermann-Herder-Str. 8
79104 Freiburg