Interview mit dem Anarchist Black Cross Dresden von Direkte Aktion

DA: Ihr seid das Anarchist Black Cross Dresden. Diese Bewegung, dessen lokale Gruppe ihr bildet, ist schon recht alt. Mögt ihr erzählen, warum ihr euch als ABC organisiert, welche Idee dahinter steckt und welche Geschichte diese Bewegung hat?

ABC DD: Das Anarchist Black Cross ist tatsächlich schon ziemlich alt. Seine Geschichte geht immerhin bis zu den revolutionären Zeiten des russischen Kaiserreichs zurück. Anfangs organisierten sich Anarchist*innen, Marxist*innen und Sozialist*innen zusammen, um politische Gefangene zu unterstützen. Irgendwann, zwischen 1900 und 1905, führte die Verweigerung, ebenfalls anarchistische Gefangene zu unterstützen, zu der Gründung einer eigenen libertären Organisation mit dem Namen Anarchist Red Cross. Um Verwechslungen mit dem “Roten Kreuz” zu verhindern, wurde der Name später zu dem uns allen bekannten Anarchist Black Cross geändert. Nach der gescheiterten Revolution von 1905 (bis 1907) verließen viele Anarchist*innen Russland in die unterschiedlichsten Richtungen. Sie nahmen die Ideen des Anarchist Black Cross dahin mit. Von dort unterstützen sie zunächst russische Gefangene durch Fundraising und solidarische Events, sie hielten Kontakt mit den Inhaftierten und arrangierten die Flucht aus der Katorga[1].

Insgesamt lag der Fokus der unterschiedlichen ABC-Gruppen bis 1917 hauptsächlich auf der Unterstützung der revolutionären Bestrebungen Russlands. Nach der Oktoberrevolution haben einige Gruppen einfach aufgehört zu existieren, während andere es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die strafrechtlich verfolgten Anarchist*innen des Bolschewiki Regimes zu unterstützen. Bekannte Mitglieder von ABC-Gruppen waren ebenfalls von Repressionen betroffen. Bis zum Ende der 1930er waren alle ABC-Gruppen und andere Solidaritätsorganisationen in Russland durch die Bolschewiki zerstört. Über Aktivitäten des ABCs zwischen 1930 bis 1960 sind kaum Informationen verfügbar. In den 60’ern tauchten dann Gruppen in Großbritannien auf, die sich im Besonderen solidarisch mit den verfolgten Revolutionär*innen Spaniens zeigten.

In den 90’ern gründeten verschiedene Gruppen aus Nordamerika die Anarchist Black Cross Federation, die bis heute existiert. Parallel dazu entstand auch in Europa ein Netzwerk aus ABC-Gruppen. Jedoch war dieses nicht von langer Dauer, so können die letzten Spuren von Aktivitäten Anfang der 2000er gefunden werden. Mit der Ausbreitung des Internets verbreitete sich auch das ABC-Konzept viel schneller als je zuvor und damit auch das Verständnis für die Wichtigkeit der Antirepressions- und Antiknastarbeit, die einen entscheidenden Teil dazu beiträgt, eine beständige revolutionäre Bewegung zu gewährleisten. Dazu wollen auch wir unseren Beitrag leisten. Soweit uns bekannt ist, gibt es aktuell weltweit mehr als 40 ABC-Gruppen.

Für uns als Anarchist*innen ist die dezentrale Organisierung sehr wichtig, das beugt Hierarchien, wie in zentralistischen Organisationen, vor und macht eine Antirepressionsstruktur nicht so leicht angreifbar. Außerdem verstehen wir uns auch nicht nur als Antirepressions-, sondern auch als Antiknastgruppe. Wir lehnen das Bestrafungs- und Justizsystem, dass unsere Gesellschaft prägt, grundlegend ab, und kämpfen für eine Gesellschaft ohne Knäste.

DA: Am 18. März ist der internationale Tag der politischen Gefangenen. Bei der Recherche zum Thema konnten wir lesen, dass ihr keinen Unterschied zwischen politischen und “normalen” Gefangenen macht? Welcher Gedanke steckt dahinter?

ABC DD: Dahinter stecken tatsächlich verschiedene Aspekte. Diejenigen, die durch Strafe und Gefängnis diszipliniert werden sollen, sind jene Menschen, die schon vorher aufgrund ihrer Klasse, politischen Überzeugung, Ethnizität, Religion, äußerlichen Merkmalen (bspw. Hautfarbe) oder Geschlecht durch Regierungen, Institutionen und die Gesellschaft unterdrückt sind. Das macht den Gefängniskomplex zu einer politischen Angelegenheit an sich. Daher soll sich unsere Solidarität mit Gefangenen nicht zwangsläufig auf politische Gefangene begrenzen, da ein*e soziale*r Gefangene*r zu sein, selbst eine politische Angelegenheit und Erfahrung an sich ist. So richtet sich unsere Knastkritik gegen das System an sich und wir vertreten die Meinung, dass jegliche Zwangsanstalten – alle Knäste, Abschiebeknäste, Zwangspsychiatrien – besser Baulücken sein sollten.

Der überwiegende Teil der Menschen, die im Knast sitzen, tut dies auf Grund der von uns kritisierten und oben bereits angeführten Aspekte. Die wenigsten wegen Mord- und Totschlag. Unsere Motivation, Knäste abzuschaffen, liegt natürlich nicht darin, dass wir gewaltvolles Verhalten legitim finden. Uns geht es nicht um die moralische Bewertung der Ursachen. Das Problem ist, dass Knast an sich ein zwanghaftes, gewaltvolles und erniedrigendes System ist, das genau solches Verhalten reproduziert, also wieder hervorbringt. Knast ist nicht dafür da, Gewalt zu verhindern, es verlagert sie höchstens. Hinzu kommt, dass in der kapitalistischen Welt, in der wir leben, Knäste die Orte sind, an denen Menschen ausgebeutet werden. Knast ist schon lange kein Ort der Resozialisierung mehr, falls er das überhaupt je war. Es ist ein Ort, an dem Menschen für wenig Lohn, ohne Arbeitnehmer*innenrechte, ohne Rentenanspruch, mit schlechter medizinischer Versorgung, zum Arbeiten gezwungen werden.
Wir haben es also mit einem System zu tun, dass Menschen unterdrückt, ausbeutet und erniedrigt, dies ist politisch motiviert und muss deshalb als Ganzes abgelehnt werden. Wir müssen uns solidarisch mit Allen zeigen und uns dagegen wehren. Deshalb finden wir die Kategorisierung in politisch und unpolitisch an sich nicht gut.

Menschen, die sich ihre Lebensmittel im Supermarkt klauen, oder ohne Ticket Bahn fahren und im Gefängnis landen, sind in den Augen vieler keine politischen Gefangenen. Ein Nazi im Knast ist hingegen ein politischer Gefangener, wird aber meist nicht gemeint wenn von “Freiheit für alle politischen Gefangenen” die Rede ist. Die Bedeutung des Begriffs ist also nicht sehr klar definiert, sondern sehr abstrakt. Er wird meistens benutzt, um die Leute zu beschreiben, die mehr oder weniger die eigenen Ideen oder Ideologien vertreten.

Aber wo ist die Grenze und wer legt die fest? Wer entscheidet, dass du eine politische Gefangene bist? Der Staat, die Repressionsbehörden, du selber, die politische Gruppe, die solidarisch sein will? Widerständiges Verhalten setzt nicht voraus, dass du eine politische Aktivist*in bist. Widerständiges Verhalten führt in dieser Gesellschaft aber zu Repression, egal ob drinnen oder draußen, aber macht dich das zu einer politischen Gefangenen?

Wir kämpfen für eine Welt ohne Knäste. Da soll es dann logischerweise gar keine Gefangenen geben. Nichtsdestotrotz haben auch wir begrenzte Kapazitäten. Aufgrund dessen konzentriert sich unsere Unterstützung primär auf anarchistische und soziale Gefangene, die ihre Kämpfe mit emanzipatorischen Inhalten gefüllt haben.

Zudem finden wir das Konzept gut, dass sich über die Jahre etabliert hat, gezielte Aktionstage zu initiieren. Diese erinnern dann ganz konkret an eine bestimmte Gruppen und rücken deren spezifische Probleme in den Fokus, wie etwa der 22. Januar – der Aktions- und Solidaritätstag mit Trans-Gefangenen, oder die Internationale Aktionswoche für Anarchistische Gefangene vom 23.-30. August, oder die Demo zum 8. März zur JVA in Chemnitz, wo sich mit der GGBO (Gefangenengewerkschaft), den Arbeiter*innen und deren Arbeitskampf solidarisiert wird und explizit auch auf den patriarchalen Aspekt von Strafvollzug hingewiesen wird.

DA: Die Rote Hilfe ist zuletzt durch die Politik massiv unter Druck geraten, die Presse spekulierte, dass es offenbar Pläne im Innenministerium gibt, sie zu verbieten. Ergeht es euch genauso? Könnt ihr noch in Ruhe arbeiten?

ABC DD: Wir sind wahrscheinlich zu klein, um derzeit in den Fokus von Horst Seehofer zu gelangen. Wir sehen in dem geplanten Rote Hilfe Verbot aber eine Gefahr für alle politischen Gruppen. Nach Indymedia wird hier wohl wieder das Vereinsverbot als Repressionsmittel angewandt. Dabei scheint es erstmal egal zu sein, ob es wirklich einen Verein gibt, oder das Innenministerium sich etwas zusammenreimt. Wenn sich diese Methode etabliert, kann das irgendwann auch kleinere Gruppen betreffen. Es ist aber sicherlich schwieriger, viele kleine Gruppen zu verbieten, als eine große Struktur. Dezentralisation könnte also eine Antwort auf diese Art von Repression sein.

DA: Allgemein spüren die linke Szene, aber auch Gewerkschafter*innen, die Tendenz, zunehmend kriminalisiert zu werden. Wie kann man sich schützen? Warum ist es wichtig, sich zu organisieren?

ABC DD: Der Druck, der auf uns ausgeübt wird, verändert sich stetig. Erstens ermöglichen es neue Technologien, widerständiges Verhalten immer leichter, effizienter und effektiver kriminalisieren zu können. Dagegen kann man sich beispielsweise schützen, in dem man verschlüsselt kommuniziert, oder bei bestimmten Themen ganz auf technische Geräte verzichtet. Das gute alte persönliche Gespräch ohne Handy sollte nicht aus der Mode kommen.

Zweitens haben viele größere Ereignisse der letzten Jahre, wie etwa der Widerstand gegen die gewaltsame Räumung des Hambacher Forstes, oder die Proteste gegen den G20-Gipfel, den Fokus der Öffentlichkeit auf sogenannten “Linksextremismus” gelenkt. Dem Wunsch nach härterer Bestrafung von linken Aktivist*innen kommen sowohl konservative Politiker*innen, als auch Repressionsbehörden allzu gern nach. Mit unseren Infoveranstaltungen zu eben diesen Themen, versuchen wir, den Kreis derer, die sich mit Aktivist*innen solidarisieren, zu erweitern und die Debatte zu verschieben.

Ein dritter Punkt in dieser Reihe sind Gesetzesverschärfungen. Die fehlende Möglichkeit, sich anonym SIM-Karten zu besorgen, erschwert politisches Engagement. Die Gesetzesverschärfungen der Paragraphen 113-115 StGB, dem sogenannten Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, dient in erster Linie der leichteren Kriminalisierung unbeugsamer Proteste. Eine große Rolle spielen in diesem Zusammenhang auch die Polizeigesetze, welche in vielen Bundesländern (unter anderem bei uns in Sachsen) vor der Tür stehen. Massive Eingriffe in Grundrechte und massive Kompetenzerweiterungen der Cops sind darin vorgesehen. Bei uns in Sachsen hat sich neben dem sachsen-weiten Bündnis “Polizeigesetz stoppen!” auch das regionale Bündnis “Sachsens Demokratie” zusammengefunden, welche die Gegenwehr zu dem geplanten sächsischen Polizeigesetz organisieren.

Es ist also durchaus spürbar, dass der Druck auf die “linke Szene” in den letzten Jahren zunimmt. Nur wenn wir uns organisieren, können wir uns gemeinsam dagegen schützen. Vor allem für uns in Sachsen, wo eine Regierungsbeteiligung der AfD immer realistischer wird, ist es notwendig , dass wir zusammenstehen. Insgesamt finden wir es wichtig, sich einen Kreis von solidarischen Personen aufzubauen – am besten, lange bevor ein Repressionsfall entsteht. So steht mensch nicht alleine da und hat Leute um sich, denen er*sie vertraut.

DA: Hat die anarchistische Szene ein Bewusstsein für inhaftierte Gefährt*innen?

ABC DD: Auf einem Vortrag in Hamburg hat eine ehemalige Gefangene mal gesagt, dass die 1990’er keine guten Zeiten mehr waren, im Knast zu sein, da die Bewegung, und das meinte nicht explizit die anarchistische, Gefangene kaum mehr unterstützt hat. In der Tat gab es eigentlich keine Antiknastbewegung mehr und kaum Solidarität. Mittlerweile hat sich das etwas geändert, das Thema erfährt wieder viel mehr Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt, weil durch den Hambacher Forst und spätestens mit G20 in Hamburg sehr viele Menschen immer wieder im Knast landen, die Szene also selbst massiv betroffen war und ist. Aber das ermöglicht nun auch das Thema allgemein wieder aufzugreifen und Knastkritik grundsätzlich zu diskutieren, wie beim Anti-Knast-Camp 2017, den Anti-Knast-Tagen oder Tattoo-Circus`e mit dem Themenschwerpunkt Gefängnis und Strafe. Alternativen zu solch einem repressiven System, wie das aus den USA stammende Community-Accountability-Konzept, finden auch immer mehr Interessent*innen und praktische Anwendung. Oder so einfache Sachen wie Briefschreib-Cafés tauchen immer mehr auf. Diese Entwicklungen freuen uns natürlich ungemein.

Aber “ausreichend Unterstützung” wäre schwer zu bejahen. Es könnte selbstverständlich immer besser sein. Oftmals werden Anarchist*innen noch als Chaot*innen von der Allgemeinheit und als realitätsferne Träumer*innen innerhalb “der Szene” wahrgenommen. Daher schaffen unsere Ideen und unsere Kritik selten eine große Reichweite an Menschen. Das hoffen wir, künftig noch ausweiten zu können, für unser Ziel einer Gesellschaft, die Gefängnisse nicht mehr braucht, weil sie nicht auf Geld und Profiten, sondern auf Freiheit und Solidarität basiert.

Anarchist*innen mit denselben Vorstellungen einer Utopie haben da schon eher ein Bewusstsein und Offenheit für inhaftierte Genoss*innen und unsere Arbeit. Aber wir kämpfen, wie viele andere auch, mit dem Problem des Solidaritätsverständnisses der deutschen, linken und anarchistischen Szene. Jede Woche finden gefühlt Soli-Partys für jeden auch nur erdenklichen Zweck statt. Dort können dann Soli-Cocktails gekauft werden. Soli-Shirts, bedruckt mit der Message, für welchen Zweck gerade solidarisch gespendet wurde, sind an Ständen oder in Internetshops erhältlich. Das Spenden ist inzwischen unabdingbar mit einer Gegenleistung verbunden. Mensch kommt gar nicht mehr auf die Idee, dass es auch möglich wäre, einfach ohne Gegenleistung zu spenden. Die Frage, was ist Solidarität und wie kann diese gelebt werden, ist deshalb bei uns auch immer wieder ein Thema.

DA: Wie könnte man euch unterstützen? Wie ist eure Empfehlung, wenn man selbst aktiv werden möchte?

ABC DD: Unterstützung jeglicher Art ist natürlich immer willkommen und dringend notwendig. Besucht unsere Veranstaltungen und bewerbt sie zum Beispiel, oder spendet Geld, dass wir an Kampagnen und Menschen im Gefängnis weiterreichen. Am wichtigsten bleibt es aber, nicht in erster Linie „uns” zu unterstützen, sondern die Menschen, die aktiv Widerstand geleistet, die Herrschaft angegriffen haben und dafür eingefahren sind. Schreibt ihnen Briefe in den Knast und tragt ihre Geschichten weiter. Eine “How to … Briefe schreiben an Menschen im Knast” Broschüre findet ihr auf unserer Seite. Die Gefangenen brauchen uns, damit der Staat merkt, dass hier draußen keine Stille herrscht, dass sie eine Agenda haben, die sich für sie einsetzt und natürlich brauchen sie die Post, um ihrer Vereinzelung und Isolation entgegen zu wirken. Ach ja, nicht zu vergessen: Führt ihre Kämpfe draußen weiter! Das bleibt wohl die beste Form der direkten Hilfe.

Es ist auch möglich, eine eigene ABC-Gruppe in eurer Stadt zu gründen. Dazu gibt es eine Broschüre in englisch, die alles erklärt. Was ihr unabhängig von Aktivismus und Spenden machen könnt, ist, euch zu beteiligen, über die Rolle von Knästen in den herrschenden Zuständen aufzuklären und den Antiknastgedanken zu verbreiten. Damit helft ihr uns, den Gefangenen von heute sowie denen von morgen, bis zu dem Moment, an dem wir alle frei sein können.

Knastgitter und Grenzzäune zu Altmetall!

DA: Ich danke euch für das Interview!

ABC DD: Gerne. Danke für euer Interesse!

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen