Solidarität und Repression

Das neue Jahr ist noch kein halbes alt und trotzdem überschlugen sich die Ereignisse 2025 bereits fast so sehr wie die Behörden in ihrem Bemühen Antifaschist*innen zu kriminalisieren und mit Repressionen zu überziehen.

Der Kontext 
Im Februar 2023 fand im autoritären Ungarn wie jedes Jahr das Neonazitreffen „Tag der Ehre statt“. Seit 1997 versammeln sich am 11. Februar jährlich tausende Nazis, um an den Ausbruchversuch der belagerten Nazi-Truppen von 1945 zu erinnern. Budapest war bereits von der Roten Armee umstellt als siebzigtausend Wehrmachts- und SS-Soldaten, sowie ungarische Kollaborateure versuchten den Kessel zu durchbrechen, wobei nur wenige überlebten. Seit den 90er Jahren etabliert findet diese NS-Verherrlichung unter dem autoritären Orban-Regime nach wie vor jedes Jahr statt, wurde sogar immer größer und bedeutender für die europäische Neonazi-Szene. 

Seit einigen Jahren organisieren ungarische Antifaschist*innen öffentlichen Gegenprotest und verurteilen die Veranstaltung als das was sie ist: Offener Geschichtsrevisionismus und Verherrlichung von NS-Ideologie. 

Im vorletzten Jahr kam im Rahmen dieser beschriebenen Veranstaltung zu körperlichen Angriffen auf Neonazis. Diese Angriffe zogen massive Repression nach sich.

7 Antifas stellen sich freiwillig den Ermittlungsbehörden
Am 20. Januar stellten sich sieben Antifaschist*innen freiwillig den deutschen Behörden und damit einer möglichen langjährigen Haftstrafe. Mehr als zwei Jahre lang konnten sie sich den Behörden und deren Ermittlungseifer erfolgreich entziehen. Die geführten Ermittlungen gegen sie gingen mit massiver Propaganda und Hetze, sowohl seitens der ungarischen als auch der deutschen Presse, einher. So wurden in Ungarn Fotos mit Namen und Adressen der Antifaschist*innen veröffentlicht und zu einer Jagd auf Antifaschist*innen aufgerufen. Diese wurde von deutschen Neonazis und der Springerpresse aufgegriffen und in Deutschland weiter verbreitet. Federführend in den Ermittlungen gegen die Antifaschist*innen war das LKA Sachsen, die SOKO-LinX und der Verfassungsschutz. Bereits im Zusammenhang mit dem Antifa-Ost-Komplex wurden absurde Bedrohungsszenarien einer neuen RAF und linken Terrors propagiert. Doch damit nicht genug! Freund*innen und vermeintliches Umfeld der gesuchten wurden über 2 Jahre mit Hausdurchsuchungen, Abhöraktionen, SEK-Einsätzen und Anquatschversuchen überzogen. 

Gegen Clara, Moritz, Paul, Luca, Nele und Paula lag sowohl ein deutscher als auch ein internationaler Haftbefehl vor. Die Haftbefehle wurden unmittelbar in Vollzug gesetzt und die Antifas in unterschiedliche Knäste überall in Deutschland gesperrt. Sie wurden in die JVAs in Bielefeld, Wuppertal, Chemnitz, Leipzig, Regis Breitingen und Hamburg gebracht. Obwohl ihre Anwält*innen bei fehlender Fluchtgefahr (alle sieben hatten sich selbst gestellt und machten keinerlei Anstalten zu fliehen) Haftverschonung beantragt hatten. Zum Teil erfolgte die Unterbringung weit weg vom Lebensmittelpunkt, Angehörigen und Freund*innen. Luca z.B wurde, nachdem sie sich gestellt hatte, nach Bielefeld überstellt. Ihre Freund*innen und ihr soziales Umfeld befinden sich in Leipzig. Ähnlich wie Paula, die nachdem sie sich in Jena gestellt hatte, in die JVA Wuppertal gesperrt wurde. Was die Behörden damit bezwecken wollen? Vereinzelung und Isolation! Trotzdem gab es noch am selben Abend vor den Knästen Solikundgebungen, Musik und Feuerwerk in Solidarität mit den Gefangenen. 

Zaid ist von akuter Auslieferung bedroht
Gegen einen der sieben, die sich gestellt haben, liegt im Unterschied kein Deutscher, sondern nur ein EU-Haftbefehl, ausgestellt von Ungarn vor. Zaid befindet sich seit seiner Festnahme in Auslieferungshaft in Köln. Er floh 2014 vor dem Syrischen Bürgerkrieg mit seiner Familie nach Deutschland. Nachdem klar wurde, dass Zaid ihm Falle einer Festnahme die Auslieferung nach Ungarn und damit die Abschiebung nach Syrien drohte, tauchte er über zwei Jahre lang unter. Zwei Jahre lang war alles auf Null gesetzt. Kein Kontakt zu den Menschen, die er liebte, kein Job, keine Krankenversicherung und die ständige Sorge doch erwischt zu werden mit allen Konsequenzen. Letzendlich war es seine Entscheidung sich zu stellen und sich in die Hände eines Staates zu begeben, von dem nicht all zu viel zu erwarten ist. Die sogenannten „Parteien der Mitte“ versuchten nicht zuletzt im Wahlkampf, auch in den kürzlichen Koalitionsverhandlungen sich gegenseitig in Menschenverachtung, Rassismus, Abschiebungsfantasien und rückwärtsgewandtem Denken zu überbieten. 

Während die Bundesanwaltschaft mittlerweile erklärt hatte, dass es im Fall der anderen sechs Angeklagten „vorrangig“ sei, ein Verfahren in Deutschland zu führen, fühlt sich der rassistische deutsche Staat für Zaid als „syrischen Staatsbürger“ nicht zuständig. Damit ergibt sich für Zaid eine ganz neue Dimension der Repression: Die drohende Abschiebung nach Syrien. Denn als nicht „deutscher Staatsbürger“ ist es für die Behörden ein leichtes Zaid nach Ungarn auszuliefern, das wie schon erwähnt einen Haftbefehl und damit ein Auslieferungsersuchen erlassen hat. In diesem Fall droht Zaid nicht nur die Unterbringung in einem ungarischen Knast sondern auch ganz konkret die Abschiebung nach Syrien. Darum fordern wir ganz klar: Keine Auslieferung von Zaid nach Ungarn!

**Update**: Das Berliner Kammergericht, das sich mittlerweile für Zaids Fall zuständig fühlt, gestand dem 21-jährigen am 02. Mai eine Hafverschonung zu. Das bedeutet Zaid wurde gegen Auflagen, er muss sich zwei Mal die Woche bei den Cops melden, aus dem Knast entlassen. Seine Anwält*innen hatten das schon lange gefordert, weil Zaid sich im Januar freiwillig gestellt hatte und keine Fluchtgefahr bestand. Eine Auslieferung und damit eine mögliche Abschiebung in ein Kriegsgebiet droht Zaid aber trotzdem!

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: Majas Auslieferung nach Ungarn war rechtswidrig
Am 06. Februar erklärte die oberste gerichtliche Instanz Deutschlands die Auslieferung Majas für verfassungswidrig. Außerdem kritisierte das BVG das Vorgehen des Berliner Kammergerichts, das die Auslieferung letztendlich anordnete als „tiefgreifenden Grundrechtseingriff“. Die Behörden hätten die drohenden Haftbedingungen und die drohende Diskriminierung, die Maja als non-binäre Person im Knastsystem eines autoritären queerfeindlichen Staates erwarten würden, nicht „ausreichend geprüft“. Wir glauben weder an das staatliche Konstrukt noch an seine Gerichtshöfe oder Behörden. Trotzdem ist es bezeichnend, dass selbst die oberste juristische Instanz Deutschlands das Vorgehen eines anderen Gerichts klar verurteilt. Das zeigt nur mehr den unbedingten und politisch motivierten Verfolgungswillen der deutschen Behörden. Wir wissen, dass das Berliner Kammergericht nicht in der „Überprüfung der Haftumstände“ versagte. Wir wissen, dass die Auslieferung in genau diese Umstände geplant und durchdacht war. 
Die Erklärung des BVGs ist bis heute auch nur das geblieben: Worte. Bisher gibt es keine Bemühungen die Auslieferung rückgängig zu machen. Wir fordern deshalb: Sofortige Freilassung Majas und keine weiteren Auslieferungen nach Ungarn!

Prozessbeginn in Budapest
Nachdem Maja im Juni 2024 mitten in der Nacht aus der JVA Dresden entfürt und nach Budapest verschleppt wurde, musste die non-binäre Antifaschist*in beinahe 8 Monate unter unwürdigsten Bedingungen in ungarischer Haft verbringen. Maja berichtet von Kakerlaken und Bettwanzen, nächtlichen Zellenkontrollen, illegal installierten Kameras in Majas Zelle, Schreien aus Nachbarzellen und Diskriminierung von Schließern und Wächtern. Maja befindet sich weiterhin in absouluter Isolation, es gibt kaum Kontakt zu Mitgefangenen. Die hygienischen Zustände sind wie oben beschrieben katastrophal.
Am 21.02.2025 begann Majas Prozess in Budapest. Ins Gericht wurde Maja in Ketten geführt: In Handschellen und Fußfesseln, an der eine Leine befestigt war, begleitet von zwei vermummten, bewaffneten Beamten.

Die ungarische Staatsanwaltschaft schlug Maja zum Auftakt der Vorverhandlungen einen „Deal“ vor: 14 Jahre Haft unter besonders strengen Haftbedingungen, die Maja sofort und ohne einen weiteren Prozess absitzen kann. Im Gegenzug forderte das Gericht ein Geständnis. Bei einer Ablehnung dieses „Deals“ würde Maja in Budapest der Prozess gemacht, wobei Maja eine Haftstrafe von bis zu 24 Jahren angedroht wurde. Sollte Maja ein Schuldeingeständnis machen, würde Maja damit auf eine Verhandlung verzichten und kann die Schuld von da an nicht mehr bestreiten. Es kann nur noch gegen das Strafmaß in Berufung gegangen werden. Mit den Worten „Nein, ich gestehe meine Schuld nicht ein!“ lehnt Maja den Deal ab und verliest im Anschluss über eine halbe Stunde lang eine kämpferische und liebevolle Prozesserklärung

Seit dem hat sich an Majas Umständen nichts geändert. Der Prozess findet im Rahmen einer Autokratisierung des ungarischen Staates statt, welcher die Rechte von LGBTQI+ Personen immer weiter einschränkt. Beim letzten Prozesstag haben ungarische Neonazis  versuchten das Publikum und Aktivist*innen vor dem Gericht einzuschüchtern und alles medial zu inszenieren. Im Juni stehen neue Prozesstermine an. Es gibt eine Mobilisierung zur solidarische Prozessbegleitung nach Budapest!

Prozessbeginn Hanna in München mit dem Vorwurf „versuchter Mord“
Zur ungefähr gleichen Zeit begann in München der Prozess gegen die Antifaschistin Hanna. Hanna sitzt seit Mai 2024 in U-Haft in München. Ihr wird vorgeworfen, mit anderen im sogenannten „Budapest-Komplex“ Beschuldigten an körperlichen Auseinandersetzungen mit Neonazis in Ungarn beteiligt gewesen zu sein. Neben dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, versucht die Staatsanwaltschaft in Hannas Fall noch „versuchten Mord“ zu konstruieren. So zeigt sich auch einmal mehr in Hannas Fall das absurde Ausmaß der Repression deutscher Ermittlungsbehörden gegenüber Antifaschist*innen. Die lange Untersuchungshaft, die lange drohende Auslieferung ans rechtsautoritäre Ungarn und die völlig überzogenen und konstruierten Vorwürfe wie „versuchten Mord“ sollen sowohl Druckmittel als auch Abschreckung sein. Er dient – ähnlich wie der Vereinigungsvorwurf – der Abschreckung und Legitimation des Vorgehens gegen antifaschistische Praxis. 

Eine weitere Antifaschistin stellt sich selbst
Im März stellte sich Emmi freiwillig den Behörden. Auch ihr wird vorgeworfen 2023 am „Tag der Ehre“ an Angriffen auf Nazis beteiligt gewesen zu sein. Emmi sitzt seitdem in der JVA Luckau-Deuben.

Kundgebung am 30. März in Chemnitz
In diesem Jahr gab es eine besonders kraftvolle und emotionale Kundgebung vor der Frauen-JVA in Chemnitz an der sich ca. 120 Personen beteiligten. Bereits seit 9 Jahren sind wir dort, um die Menschen im Frauenknast zu unterstützen, die geschlechtsspezifischen Probleme im Knastsystem zu thematisieren und die Abschaffung aller Knäste zu fordern. So wurden auch dieses Mal verschiedenste Redebeiträge, Grußwörter, die vorher eingeholten Musikwünsche der Gefangenen und das ein oder andere Live-Ständchen mit einem ordentlichen Soundsystem über die Knastmauern geschallt.

Besonders warme Grüße schickten wir natürlich an unsere Gefährt*innen Nele und Paula. Umso mehr freuten wir uns über den ersten Brief von Nele nach der Kundgebung. Sie macht in dem Brief ein paar Stimmen ihrer Mitgefangenen hörbar: „It was like being a bit more free“, „like being on a concert outside“ und „Danke, dass ihr uns nicht nur als kriminelle, sondern als Menschen seht“. Sie schreibt davon, dass einige Freudentränen geflossen sind und besonders viele der migrantischen Gefangenen überrascht von so viel Solidarität waren. Das gibt Kraft und Mut weiterzumachen. No one is free until all are free!

Frankreich wird Gino nicht an Ungarn ausliefern!
Am 29. April verkündete ein französisches Gericht, dass Gino nicht an Ungarn ausgeliefert werden würde. Das Gericht begründete den Beschluss mit den Artikeln 3 und 6 der Europäischen Menschenrechtserklärung. Demnach könnten diese nach einer Auslieferung an das autoritäre Ungarn nicht mit Sicherheit eingehalten werden. Weiterhin vertritt das Gericht die Auffassung, dass Gino auf Grund seiner politischen Überzeugungen von Folter und unwürdiger Behandlung bedroht wäre. Außerdem wies das Gericht auf die Gefahr eines unfairen Prozesses hin (Gino hätte ebenfalls eine Strafe von bis zu 24 Jahren gedroht). 
Kurz darauf wurde Gino auf Bewährung entlassen. 

Bundesweite Demo in Solidarität mit allen von Repression betroffenen Antifas
Jetzt erst recht. Antifaschismus ist notwendig! Freiheit für alle Antifaschist*innen!
Am  14. Juni 2025 findet in Jena eine bundesweite Demonstration in Solidarität mit allen Gefangenen, Verfolgten und von Repression betroffenen Antifas statt. 

Unsere Solidarität bleibt ungebrochen!
Majas Auslieferung und drohende Verurteilung zu krass hohen Strafen, die drohende Auslieferung von Zaid, die absurden Anschuldigungen gegen Hanna und der Umgang mit den anderen Antifas zeigt: Es geht in diesen Prozessen viel mehr als um ein paar verprügelte Nazis. Diese Prozesse sind politisch! Diese Entwicklungen sind geradezu symptomatisch für die aktuellen Zustände in Deutschland und zeigen, wohin sich dieses Land und diese Gesellschaft bewegt. Und die Botschaft, die durch Auslieferung, Mordanklagen und lange Haftstrafen gesendet werden soll, passt nur zu gut in den Tenor des vergangenen Wahlkampfes und der vor kurzem geführten Koalitionsgespräche der „Mitte-Parteien“: Antifaschismus wird kriminalisiert, während autoritäre und rechte Politik immer weiter salonfähig gemacht wird. Wieder einmal wird ganz deutlich: Wir dürfen und sollten uns auf diesen Staat und seine Justiz nicht verlassen. Es liegt an uns Druck zu machen und Veränderung zu schaffen, ein Bild zu entwerfen von einer besseren Zukunft. So gilt unsere ungebrochene Solidarität weiterhin allen von Repression betroffenen und bedrohten Antifaschist*innen – ob im Knast oder im Untergrund, ihr seid nicht allein!  

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