Alfredo Cospito sitzt seit zehn Jahren im Gefängnis in Italien. Der 55-jährige Anarchist befindet sich seit dem 20.10.2022, also seit 161 Tagen, im Hungerstreik und hat seitdem über 55 kg Gewicht verloren.
Mit seinem Hungerstreik will er bessere Haftbedingungen unter dem Isolationsregime unter dem itelienischen Artikel „41bis“ erreichen.
Der Artikel 41bis sieht äußerst strenge Regeln vor und wurde eigentlich für inhaftierte Mafia-Bosse geschaffen, um ihre Kommunikation mit der Außenwelt zu unterbinden. Das gesamte Leben, auch Gespräche und jeder Moment, werden überwacht und alles per Video aufgezeichnet. Das Leben findet in einer 3,75 Quadratmeter großen Zelle statt. 22 Stunden pro Tag verbringen die Gefangenen dort in Isolation. Es gibt nichts zum Lesen und es kann nur zwischen 3 verschiedenen Radioprogrammen gewälhlt werden, welche die Gefangenen hören dürfen. Außerdem dürfen die Gefangenen nur den monatlichen Besuch eines Familienangehörigen und einen Telefonanruf bekommen. Alfredo Cospito wurde es sogar verboten, ein Foto seiner Eltern in seiner Zelle zu haben!
Aktuell ist Alfredo im Milano Opera Gefängnis in Mailand. Seit Mai 2022 befindet er sich in der Isolationshaft unter Ariktel 41bis. Das Kassationsgericht in Rom hat Ende Februar 2023 entschieden, dass seine Haft unter dem Artikel 41bis bestehen und er weiter in Isolation verbleiben soll. Diese Entscheidung wurde trotz Alfredos Hungerstreik und seines zunehmend verschlechterten Zustands getroffen.
Alfredo sitzt im Knast, weil er 2012 Roberto Adinolfi, den Chef des Atomkonzerns Ansaldo Nucleare, ins Knie geschossen hatte. Er wurde deshalb zu zehn Jahren und acht Monaten im Gefängnis verurteilt. Außerdem wird er beschuldigt, im Jahr 2006 zwei Paketbomben vor einer Rekrutenschule der Carabinieri (italienische Polizei) in Fossano um 3:00 Uhr nachts gezündet zu haben, bei der nur ein Sachschaden entstand und keine Menschen verletzt wurden. Diese Tat hat er bestritten und sie konnte ihm nicht eindeutig nachgewiesen werden. Trotzdem wurde er dafür zu 20 Jahren im Gefängnis verurteilt.
Ihr könnt Alfredo leider keine Briefe schreiben, da die komplette Isolation durch 41 bis keinen Kontakt zulässt. Trotzdem rufen wir zu Solidarität mit Alfredo Cospito und dem weltweiten Kampf gegen Gefangenschaft, Isolation und Knast auf!
Am 1.3.2023 wurde der letzte Brief von Alfredo veröffentlicht, welcher im Folgenden in übersetzter Version zu finden ist:
„Meinen Kampf gegen 41bis führe ich als Individual-Anarchist. Ich werde keine Erpressung ausüben oder akzeptieren. Ich kann einfach nicht unter einem unmenschlichen Regime wie dem von 41bis leben, wo ich nicht frei lesen kann, was ich will, z.B. Bücher, Zeitungen, anarchistische Zeitschriften, Kunst-, Wissenschafts-, Literatur- und Geschichtsmagazine.
Der Weg, den ich einschlagen soll, um hier herauszukommen, verlangt von mir, dass ich meinen Anarchismus verleugne, und würde nur dafür sorgen, dass jemand anderes an meine Stelle kommt. In diesem Gefängnisregime ist mir jeglicher menschlicher Kontakt untersagt, ich kann keinen Grashalm sehen oder streicheln oder einen geliebten Menschen küssen. Ein Regime, in dem die Bilder deiner Eltern beschlagnahmt werden. Ich bin lebendig begraben in einer Gruft, einem Ort des Todes. Ich werde meinen Kampf bis zum Äußersten fortsetzen, nicht als „Erpressung“, sondern weil dies kein Leben ist. Wenn es das Ziel des italienischen Staates ist, mich von den Aktionen der Anarchistinnen und Anarchisten draußen zu „distanzieren“, dann sei gesagt, dass ich auf Erpressung nicht eingehen werde. Als guter Anarchist glaube ich, dass jeder für seine eigenen Handlungen verantwortlich ist, und außerdem habe ich mich, da ich der anti-organisatorischen Strömung angehöre, mit niemandem „assoziiert“ und kann mich daher von niemandem „distanzieren“. Affinität ist etwas anderes.
Ein kohärenter Anarchist distanziert sich nicht von anderen Anarchisten aus Opportunismus oder weil es ihm passt. Ich habe meine Aktionen immer mit Stolz behauptet (auch vor Gericht, deshalb bin ich hier) und ich habe nie die Aktionen meiner Mitstreiter:innen kritisiert, schon gar nicht in der Situation, in der ich mich jetzt befinde.
Die größte Beleidigung für einen Anarchisten ist die Anschuldigung, Befehle zu erteilen oder entgegenzunehmen. Als ich unter dem Hochsicherheitsregime stand, war ich der Zensur unterworfen und so habe ich nie „Pizzini“ Briefe (Briefe, welche Mafia-Bosse aus dem Gefängnis schreiben) mit Aufträgen verschickt, sondern Artikel für anarchistische Zeitungen und Zeitschriften. Und vor allem war ich frei, Bücher und Zeitschriften zu erhalten und Bücher zu schreiben, zu lesen, was ich wollte, kurz, ich durfte mich entwickeln, leben.
Heute bin ich bereit zu sterben, um die Welt wissen zu lassen, was 41bis wirklich ist; 750 Menschen leiden darunter im Stillen, Menschen, die von den Massenmedien ständig als Monster dargestellt werden.
Jetzt bin ich an der Reihe: zuerst habt ihr mich in der Gestalt eines blutrünstigen Terroristen zu einem Monster gemacht; dann habt ihr mich in der Gestalt eines märtyrerhaften Anarchisten, der sich für andere aufopfert, geheiligt; und jetzt habt ihr mich wieder zu einem Monster gemacht, indem ihr mich als Anführer eines grässlichen „SPECTER“ dargestellt habt. Ich habe keinen Zweifel daran, dass ich, wenn alles gesagt und getan ist, wieder zu den Altären des Märtyrertums getragen werde. Nein danke, ich lasse mich nicht auf eure ekelhaften kleinen politischen Spielchen ein.
In Wirklichkeit ist das wahre Problem des italienischen Staates dasjenige, das unbekannt bleibt, nämlich all die Menschenrechte, die in diesem Regime, dem 41bis, im Namen einer „Sicherheit“ verletzt werden, für die alles geopfert wird. Nun ja! Das hättet ihr euch überlegen sollen, bevor ihr einen Anarchisten hier reinsteckt. Ich kenne die wahren Motive oder politischen Manöver nicht, die hinter der Entscheidung stehen, mich als „Giftknödel“ in diesem Regime zu benutzen. Es war nicht schwer vorauszusehen, wie ich auf dieses „Nicht-Leben“ reagieren würde. Der italienische Staat ist ein würdiger Vertreter der Heuchelei eines Westens, der dem Rest der Welt ständig Predigten über „Moral“ hält. Der 41bis hat Lektionen angeboten, die von sogenannten „demokratischen“ Staaten wie dem türkischen Staat (die kurdischen Gefährten wissen etwas darüber) oder dem polnischen Staat gut aufgenommen wurden.
Ich bin überzeugt, dass mein Tod diesem Regime ein Ende setzen wird, und dass die 750 Menschen, die ihm seit Jahrzehnten unterworfen sind, ein lebenswertes Leben führen dürfen, was auch immer sie sonst getan haben.
Ich liebe das Leben, ich bin ein glücklicher Mensch, ich würde mein Leben gegen kein anderes eintauschen wollen. Und gerade weil ich es liebe, kann ich dieses hoffnungslose Nichtleben nicht akzeptieren.
Danke, Gefährt:innen, für all eure Liebe.
Immer für die Anarchie.
Beuge dich niemals.
Alfredo Cospito“