Überwachung von Gefängnis-Kommunikation

„Ich musste schon überlegen, mit wem ich telefoniere“, sagt Matthias. Matthias, der eigentlich anders heißt, ist Anfang 20 und saß über viereinhalb Jahre in norddeutschen Gefängnissen ein. Er berichtet, dass Wärter damit drohten, Gespräche mitzuhören, gerade wenn man sich schlecht über den Monopolisten Telio äußerte. Die Firma wirbt damit, dass diese Form der Überwachung mit ihren Produkten möglich ist.

Matthias saß im Laufe seiner Haft in den Justizvollzugsanstalten (JVA) von Berlin, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. In Mecklenburg-Vorpommern protokollieren die JVAs die Gespräche ihrer Insassen: „Datum, Uhrzeit, Rufnummer, Dauer des Gespräches“. So steht es in einer Kleinen Anfrage der Abgeordneten Jacqueline Bernhardt. Demnach gehört auch „einfaches Mithören, Aufzeichnen und Protokollieren von Gesprächen“ zu den Leistungsmerkmalen des erstmals 2006 geschlossenen Vertrages mit Telio. Das einfache Mithören durch JVA-Angestellte wird in allen Gefängnissen des Landes eingesetzt.

In ihrer Antwort auf die Anfrage teilt die Landesregierung auch mit, dass in der „JVA Stralsund […] regelmäßig bei etwa zehn Untersuchungsgefangenen, in der JVA Waldeck regelmäßig bei etwa zwei Untersuchungsgefangenen die Mithörmöglichkeit genutzt [wird]“. Dies ist erlaubt und rechtlich durch die Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Anrufe von Gefangenen dürfen demnach auch „ohne Wissen der Betroffenen überwacht und aufgezeichnet werden“.

„Einfaches Mithören“ in Mecklenburg-Vorpommern, aber nicht in Berlin

Auch in Berlin werden Produkte von Telio eingesetzt: ROOMio für Telefone in den Zellen, und PHONio für Gangtelefone, zudem ein bisher unbekanntes Produkt für das Land, genannt „Nio“. Die Senatsverwaltung für Justiz antwortet auf Nachfrage knapp, dies sei „ein Sonderprodukt, welches Fernsehen und Haftraumtelefonie beinhaltet“.

Mitgehört wird in Berlin jedoch nicht – zumindest nicht in den normalen Gefängnissen. Das Abgeordnetenhaus Berlins sagt, es werden keine Gespräche von Gefangenen „aufgezeichnet, gespeichert oder protokolliert“. Das steht in der Antwort auf eine Schriftliche Anfrage durch Abgeordnete der Linksfraktion, Niklas Schrader und Sebastian Schlüsselburg.

Die Ausnahme: Das „einfache Mithören“ von Untersuchungsgefangenen auf richterliche Anordnung ist erlaubt und werde auch praktiziert. Das Abgeordnetenhaus betont, dass nach der Strafprozessordnung „Gefangene vor Beginn des Gesprächs sowie die Gesprächspartnerin oder der Gesprächspartner unmittelbar nach Herstellung der Verbindung in ihrer jeweiligen Landessprache über die Überwachung“ informiert werden. Statistiken über diese Praxis lägen nicht vor.

Werbespruch von Telio: „Für lockere Kommunikation mit festen Zügeln“ Screenshot te.lio

Der Monopolist bestimmt die Preise

Die Telio GmbH mit Sitz in Hamburg ist Monopolist für den europäischen Markt der Gefängnis-Kommunikations-Technik. Im Jahre 1998 gegründet, wuchs die Firma stetig. Telio bietet fast die gesamte Bandbreite an technischen Systemen für Gefängnisse an: Signaljammer, die Mobilfunk sperren sollen, Gangtelefone und Multimediasysteme für die Zellen mit angeschlossenem Bezahltelefon und vorgefiltertem TV-Programm. Derzeit sind nach eigener Aussage des Unternehmens „über 300 Telio-Anlagen in Betrieb“, europaweit. Dabei wirbt Telio auf seiner Website mit humorvollen Sprüchen: „Für lockere Kommunikation mit festen Zügeln.“

Die Monopolstellung hat mehrere Haken: Was Telio nicht anbietet, gibt es im Gefängnis auch nicht. Wie Telio es anbietet, wird es im Gefängnis auch angeboten. Den JVAs entstehen keine Ausgaben durch den Einsatz von Telios Produkten, auch das offenbaren die Antworten auf die Anfragen. Die Kosten werden auf die Gefangenen umgelegt. Und Telio bestimmt die Preise.

Wenn man wie Matthias 23 Stunden am Tag eingeschlossen war, ist jede Minute am Telefon mit einem Familienmitglied oder Freund viel wert. Er machte im Gefängnis seine Ausbildung zum Maurer. Er sagt, er musste bei einem niedrigen Lohn von wenigen Euro am Tag arbeiten, um sich überhaupt das Telefonieren im Gefängnis leisten zu können.

23 Cent pro Minute

Die Preise, die Gefangene für die Telefonate nach draußen mit Telio zahlen müssen, sind nicht transparent. Unsere Fragen dazu ließ das Unternehmen unbeantwortet. Eine Schriftliche Anfrage der Berliner FDP-Fraktion bestätigt im August dieses Jahres jedoch, dass Preise wie „23 Cent pro Minute in das Mobilfunknetz“ in vielen Berliner JVAs noch aktuell sind.

2017 befasste sich sogar das Bundesverfassungsgericht mit den hohen Preisen. Das Ergebnis lautet, dass die Preise „marktüblich“ sein sollen. Welche Preise „marktüblich“ sind, ist allerdings schwer festzulegen, denn die Anlagen in Gefängnissen müssen besonderen Sicherheitsanforderungen genügen – was höhere Kosten verursacht. Zum anderen gibt es auf diesem Markt für Telio kaum Konkurrenz. Üblich ist somit nur, was Telio vorgibt.

Die Gefangenen können für angemessene Preise nur gegen die JVA selbst klagen, nicht aber gegen Telio, da dieses Unternehmen nur mit den JVAs einen Vertrag abgeschlossen hat.

Matthias berichtet, dass Gefangene die Gebühren für Telio umgehen können, wenn Außenstehende die Beträge direkt auf das JVA-Konto überweisen. Jedoch dauert dies Tage bis Wochen. Schneller geht es über den Telio-eigenen Dienst mytel.io, der es erlaubt, Gefangenen mittels Kennziffer Geld zu überweisen. Einzelne Medien berichten über eine Praxis der Erpressung und Gewalt im Zusammenhang mit den Telio-Anlagen. Telio äußert sich nicht dazu.

Ohne Vertrauen keine Resozialisierung

Prof. Dr. Helmut Pollähne vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein sieht diese Form der Überwachung von Gefangenen kritisch. Er verweist auf die Durchsicht von „Post und die optische [und] akustische Überwachung von Besuchen“: All dies sei nicht förderlich im Kontext der Resozialisierung. Vielmehr könne „die technische Möglichkeit der Telefonüberwachung bei Gefangenen das Misstrauen begründen, dass dies auch – ggf. sogar heimlich – genutzt wird, unabhängig davon ob dies im Einzelfall gesetzlich zugelassen ist.“

Dass Matthias überlegen musste, mit wem er telefonierte, lag auch an seiner Weltanschauung. „Wenn man ein bisschen links gesinnt ist, hat man es im Knast generell schwierig. Es ist schwer, sich auszutauschen. Natürlich wird man überwacht, das kommunizieren die Wärter auch“, sagt er. Laut Telio sollen die Produkte des Unternehmens dazu beitragen, die Gefangenen zu resozialisieren. Im Fall von Matthias haben sie ihn eher in die Abschottung geführt.

https://netzpolitik.org/2019/draht-nach-aussen/#spendenleiste

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