Größte Proteste in Belarus in den letzten 10 Jahren

In den letzten Wochen sind Menschen in Belarus gegen das Gesetz Gesellschaftliches Parasitentum auf die Strasse gegangen. Das Gesetzt wurde von Lukaschenko bereits 2015 unterzeichnet, wurde aber erst Anfang 2017 unangenehm für die Bevölkerung. Tausende protestierten in den Strassen von Minsk, Brest, Gomel und vielen anderen kleineren Städten, überall in Belarus, um ihren Unmut über das Gesetz und das aktuelle Regim zum Ausdruck zu bringen. Die Proteste schienen weniger von der „offiziellen“ Opposition beeinflusst zu sein, vielmehr haben sich Menschen, die vorher nicht in die Politik involviert waren zusammen organisiert. An mehreren Orten spielten Anarchist*innen eine nicht unbedeutende Rolle bei den Protesten. Letzte Woche begann die belarussische Regierung mit Repression gegen die Protestierenden vorzugehen – bis jetzt sind über 48 Menschen für verschiedene Rechtsverletzungen festgenommen und verurteilt worden.

Gesellschaftliche Parasiten

Bereits nach den Wahlen 2010 begann die belarussische Regierung über gesellschaftlichen Parasitismus zu debattieren. Diese Idee ist nichts Neues in der Region – in der Sowjetunion waren arbeitslose Menschen immer von Strafverfolgung bedroht. Nun wollte die belarussische Regierung das Selbe durchsetzen – Lukaschenko wollte alle bestrafen die nicht arbeiten oder arbeiten aber keine Steuern zahlen.

Langsam hat sich die Idee durch verschiedene Ministerien Schritt für Schritt herauskristalisiert – das Gesetz wurde geschrieben und Lukaschenko hat es eifrig unterschrieben. Es besagt, dass jede Person, die für mehr als 6 Monate im Jahr nicht arbeitet eine „Steuer“ an den Staat bezahlen muss um den „Sozialstaat“ zu finanzieren – kostenlose Gesundheitsversorgung und Bildung. Die Summe ist für viele sehr hoch – 180 € im Jahr, bei einem Durchschnittsgehalt von 200-300€, abhängig von der Region im Land.

Dies wurde neben den bereits existierenden beschämenden 15$ pro Monat eingeführt, die Menschen erhalten, welche offiziell beim Arbeitslosencenter registriert waren – Geld das allerdings nur nach einem Tag verrichteter Arbeit, die von der Arbeitslosen Agentur zugewiesen wurde, ausgezahlt wird.

Bereits 2015 gab es Unzufriedenheit bezüglich des Gesetzes, diese führte allerdings nicht zu einem richtigen Protest – es wurde versprochen das Gesetz erst 2017 in Kraft treten zu lassen und viele dachten, dass die Regierung es zurück nehmen würde. Statt dessen bekamen Leute Ende 2016 Anfang 2017 Post, die den Spitznamen „Brief des Glücks“ erhielt. Diese enthielt eine Aufforderung, dass aufgrund „finanzieller Untätigkeit“ in 2015 eine Steuer an den Staat zu zahlen sei. Und das war der Zeitpunkt ab dem es für viele Menschen ernst wurde – laut offiziellen staatlichen Medien sind ungefähr 450.000 Menschen von dem Gesetz betroffen (bei einer arbeitenden Bevölkerung von ca 5.000.000 Menschen).

Es bestand die Möglichkeit die Steuer nicht zu bezahlen, indem mensch zu einer Regierungskommision geht und sich dort selbst und seine schlechte finanzielle Situation erklährt. Das war eine der demütigendsten Prozeduren für Menschen mit finanziellen Problemen.

Diese Frau arbeitet als Haushälterin und Reinigungskraft, jedoch nicht ausreichend genug Tage, um nicht als „Parasit“ zu gelten. Auf Grund der Erniedrigung vor der Kommision fing sie an zu weinen.

Es existieren verschiedene Strafen. Wer nicht in der Lage ist zu bezahlen, kann bis zu 15 Tage zur Zwangsarbeit oder einem Bußgeld verurteilt werden. Das Bußgeld muss die Person gemeinsam mit den Steuern bezahlen.

Demonstrationen der Nichtparasiten

Die erste Demonstration fand am 17. Februar in Minsk statt. Dabei kamen 2000 Menschen zu einer nicht genehmigten Demonstration zusammen. Nachdem der Demonstrationszug den kurzen symbolischen Weg vom Platz der Republik (größter Platz in Minsk) zum Parlament genommen hatte, wurde die Demonstration beendet. Die Organisator*innen, die Teil der Opposition sind, riefen die Menschen dazu auf, nach Hause zu gehen und erst einen Monat später erneut zu demonstrieren, um Lukaschenko Zeit zu geben, das Gesetz zurückzuziehen. Eine der am besten organisierten und lautesten Gruppen während der Demonstration waren Anarchist*innen – dies war auch die einzige Gruppe die nach der Demonstration kurzzeitig von der Polizei angegriffen wurde – dabei wurde ein Banner von den Cops entwendet, allerdings gab es keine Verhaftungen und alle konnten nach Hause gehen. Viel Unterstützung erfuhren die Anarchist*innen von „normalen“ Demonstrationsbesucher*innen, welche sich den Cops ebenfalls widersetzten und Menschen aus dem anarchistischen Block in Sicherheit brachten.

In der darauffolgenden Woche kamen in Gomel und Brest mehrere tausend Menschen zu Demonstrationen. Dies waren die Größten außerhalb Minsks innerhalb der Geschichte von Belarus. In Brest übernahm eine kleine Gruppe von Anarchist*innen die Demonstration von den Organisator*innen der Opposition. Diese wollten ein Treffen mit dem Bürgermeister organisieren. Stattdessen besetzten die Demonstrant*innen die Straßen und liefen „Nein zu Dekret #3, Lukaschenko verschwinde!“ skandierend durch die Stadt (Dekret #3 ist die offizielle Regestrierungsnummer des Gesetzes). Nach dem Erfolg der Demonstration in Brest wurden mehrere Anarchist*innen in ihren Wohnungen verhaftet und zu 5 Tagen Gefängnis verurteilt. Später weitete sich der Protest auch auf kleinere Städte im ganzen Land aus. Hunderte und Tausende nahmen an den Demonstrationen an verschiedenen Orten wie Orscha, Babrujsk, Kobrin und Luninez teil. Vermutlich habt ihr von diesen kleinen Städten noch nie etwas gehört, jahrzehntelang gab es dort keinerlei Demonstrationen und nun protestieren Menschen gemeinsam gegen dieses Gesetz.

Durch den Druck der von den Demonstrationen ausging, musste Lukaschenko einen Rückzieher machen, er verkündete offiziell das Aussetzen des Gesetzes für 2017 und die Rückgabe des Geldes an die, die die „Steuer“ bereits bezahlt hatten, unter der Bedingung, dass diese arbeiten oder innerhalb des Jahres 2017 Arbeit finden. Dies konnte die Proteste nicht stoppen, die zu diesem Zeitpunkt neben der Rücknahme des Gesetzes bereits den Rücktritt von Lukaschenko und seiner Regierung forderten.

Rosinen in den Brötchen

Letzte Woche Montag veröffentlichte das belarussische Staatsfernsehen einen Propagandafilm in dem die gesamte Bewegung der Demonstrant*innen in zwei Lager gespalten wird – die tatsächlich vom Gesetz betroffenen, welche zu bemitleiden sind und „Provokateur*innen“, die einen zweiten Maidan beginnen wollen um die Region und die Regierung zu destabilisieren. Der Film erklärt, dass unter diesen „Provokateuren“ auch die Anarchist*innen sind, welche als chaotische Fußtruppen der liberalen Nationalist*innen betrachtet werden. Im Beitrag wurde deutlich gemacht, dass die Regierung nicht bereit ist aufgrund des Drucks ausgehend von den Demonstrant*innen zurückzutreten und versuchen wird alle, die weiterhin nicht mit ihr konform gehen, zu unterdrücken.

Letzte Woche sprach Lukaschenko die Probleme ebenfalls in einer Erklärung an. Abgesehen von langen Tiraden des guten Königs über böse Bürokraten, die das Gesetz falsch verstünden, sprach er von „speziellen“ Elementen innerhalb der Demonstrationen, welche ihre eigenen Ziele verfolgten und nicht am Wohlergehen der Menschen interessiert seien. Damit sind wieder die Anarchist*innen und oppositionelle Aktivist*innen gemeint. Als Versuch eine Metapher anzubringen nannte Lukaschenko diese Menschen „Rosinen im Brötchen“ (offensichtlich mag Lukaschenko keine Rosinen).

Die ersten Verhaftungen fanden aber bereits vor dem erscheinen des Filmes statt. Mehrere Menschen aus Brest wurden nach der Demonstration verhaftet, nachdem Zivilbullen sie durch die ganze Stadt gejagt hatten. Später wurden ebenfalls bekannte Oppositionelle verhaftet. In den letzten Tagen endeten viele Demonstrationen in verschieden Städten mit der Verhaftung von Journalist*innen und Demonstrant*innen.

Aktuell wurden über 48 Menschen verhaftet und verurteilt. Die Gründe dafür reichen von Verletzung der Versammlungsgesetze bis zur Anklage wegen unmoralischem Verhalten in der Öffentlichkeit. Verschiedene Aktivist*innen wurden zu 5 bis 15 Tagen Haft verurteilt. Alle die bereits 5 Tage in Haft verbrachten wurden kürzlich erneut verhaftet und wegen Fluchen in der Öffentlichkeit vor dem Knast verurteilt. Das ist eine verbreitete Taktik der Bullen. Sie verhaften Menschen innerhalb des Knasts oder während sie entlassen werden um sie sofort wieder einzusperren.

Hier gibt es eine Karte der Menschen die bisher verhaftet wurden – http://www.svaboda.org/a/28365086.html

Die nächste Demonstration soll am Mittwoch, den 15.03. stattfinden und es werden verschiedene Szenarien erwartet. Lukaschenko rastet endgültig aus und lässt alle die auftauchen inhaftieren oder er lässt die Demonstration attackieren und die Demonstrant*innen nach der Demonstration verhaften. Es ist allerdings auch möglich, dass alles problemlos verläuft und die Bullen nicht eskalierend handeln, das ist allerdings unwahrscheinlicher.

Unter Berücksichtigung der Aussagen kürzlich über Rosinen und die Rolle der Anarchist*innen bei der Destabilieriserung der gesamten Situation vermuten wir hier vor Ort, eine Verstärkung der Repression und mehr Verhaftungen als innerhalb der letzten Jahre.

Wenn du von Repression betroffene Anarchist*innen in Belarus unterstützen möchtest kannst du Geld an Anarchist Black Cross spenden. Die Bankverbindung ist:

paypal –belarus_abc@riseup.net

bitcoin –1CcxWEswKjXZgXQCds5KcHfemzrAASVbuv

Bankverbindung

Kontoinhaber*inn: VpKK e.V. IBAN: DE 40850205 0000 0361 5700 BIC:BFSWDE33DRE Name der Bank: Bank für Sozialwirtschaft Betreff: Donation ABC-B

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