Einleitung: Vielleicht hast du bereits über das neue spanische Gesetz zur öffentlichen Sicherheit gelesen, im allgemeinen Sprachgebrauch „Ley Mordaza (Gag)“ genannt und darüber, wie der Staat mit diesen Mechanismen zivilen Ungehorsam unterdrücken möchte. Vielleicht hast du auch schon von den aktuellen Anzeigen gegen Sänger_innen, Dichter_innen und Menschen die twittern … gelesen, weil ihre Texte oder Witze als Rechtfertigung von Terrorismus eingestuft werden. Die staatlichen Kräfte sind eindeutig schwer am Arbeiten in Spanien!! Mit diesem Artikel wollen wir zeigen und erklären, welche Gesetze die Aktionen des spanischen Staates legitimieren. Wo sie her kommen und wo es noch hingehen wird. Vergangenheit und Zukunft von Repression in Spanien … viel Spass!!
Der Ursprung des aktuellen Antiterrorismusgesetzes ist von 1984, vorgeschlagen von der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei – PSOE.(1) Ich weiß nicht warum wir immer noch von sowas überrascht sind. Der Richter Jose Manuel Bandres sagte bereits während den 80ern(2), dass dieses Gesetzt DER Weg ist, einen verdeckten Ausnahmezustand zu erzwingen.(3) Grundlegende soziale Rechte wurden so abgeschafft, mit der Entschuldigung, dass es sich um legale Instrumente handele, mit denen gegen die Terrorgruppe ETA vorgegangen wird.(4) Einige der Mechanismen, welche die Behörden nutzen, um uns (vor uns) zu schützen, sind: die Möglichkeit, für zehn Tage inhaftiert zu sein; wenn eine Person, die zu einer Organisation gehört verurteilt wurde, konnten die Behörden entscheiden, die politische Gruppe zu verbieten; Festnahmen, Hausdurchsuchungen, Überwachung sowie Telefonabhörung und Emailüberwachung wurden ermöglicht, wenn die Regierung sie für angemessen hält; das Schließen oder Beschlagnahmen von Rundfunkmedien wurde durch die Verfügung eines Richters möglich. Diese Handlungen standen/stehen im Widerspruch zum verfassungsmässigen Recht von: Maximaler Inhaftierung bis zu 72 Stunden, Unverletzlichkeit deines Hauses sowie deines Telefons/Mail ohne juristische Befugnis, Redefreiheit, dem Recht informiert zu sein, sich zu treffen, zu organisieren und nicht diskriminiert zu werden. So viel zum Thema konstitutionelle Rechte.
Das Gesetz wurde in den letzten zehn Jahren mit größeren Veränderungen aktualisiert. Das Strafgesetzbuch wurde 2000 reformiert, um den bereits bestehenden Begriff „Rechtfertigung von Terrorismus“ auszuweiten, um diejenigen, die terroristische Verbrechen verherrlichen und anstacheln zu bestrafen. Die maximale Dauer von zehn Tagen Inhaftierung wurde auf fünf Tage reduziert (der einzige positive Aspekt), Verdächtige können in Isolationshaft gebracht werden (maximal 13 Tage)(5), sie können ihre Familie oder dritte Personen nicht informieren, ihnen ist keine Korrespondenz oder Kommunikation möglich, und sie können keine privaten Besuche von Ärzt_innen, Verwandten oder Freund_innen erhalten. Während dieser Inhaftierungszeit gibt es kein Recht eine_n Anwält_in zu engagieren oder ein privates Gespräch mit dieser_m zu führen. Die ganze Untersuchung kann unter dem Geheimnis juristischer Ermittlungen geführt werden und kann für alle involvierten Parteien als voll oder teilweise geheim eingestuft werden.
Durch die Einordnung der Aktionen von Kale Borroka (einer jungen unabhägnigen linken Bewegung aus dem Baskenland, aktiv in gewalttätigen Protesten gegen die Regierung) als Terrorismus auf niedrigem Niveau, erlaubten die Behörden, dass Minderjährige vor dem nationalen Staatsgerichtshof verurteilt werden konnten, mit Strafen bis zu 18 Jahren Gefängnis.(6) Die Änderungen des Parteiengesetzes 2002 erlaubten es einige politische Gruppen der “abertzale left” (Parteien und Organisationen der baskischen separationistischen Linken) zu verbieten, denn:
Politische Parteien, die dieses demokratische Freiheitssystem angreifen, […] oder die Gewalt und die Aktivitäten von terroristischen Gruppen politisch unterstützen, Aktionen von Terrororganisationen ergänzen oder politisch unterstützen, mit der Intension die verfassungsmäßige Ordnung zu untergraben, oder ernsthaft den öffentlichen Frieden zu gefährden, staatlichen Behörden, bestimmte Personen oder Gruppen zu terrorisieren, können verboten werden.
2003 wurden Herri Batasuna, Euskal Herritarrok und Batasuna (mit der Behauptung, dass sie der politische Arm der ETA sein), danach auf Grund von Verbindungen die Accion Nacionalista Vasca und die Kommunistische Partei der Baskischen Territorien verboten, daraufhin auch die Herritarren Zerrenda, Autodeterminaziorako Bilgunea … und weitere.(7) 2006 wurde auch die Kommunistische Partei Spaniens PCE verboten aufgrund von Verbindungen zu GRAPO(8) und 2009 versuchte der Staat die Internationalistische Initiative zu verbieten, um zu verhindern, dass sie ins Europaparlament gewählt wird.
Die Richtlinien für Gefängnisstrafen wurden auch geändert, durch die Erhöhung von Höchststrafen für Terrorist_innen auf 30-40 Jahre, die Verteilungsrichtlinien (nur 3% der ETA Gefangenen sind im Baskenland), durch eine automatische „erste Klasse“ Einordnung für terroristische Gefangene, oder das Verhindern vorzeitiger Entlassung oder anderer Vorteile für sie. Im Juli 2015 wurden einige Absätze im Strafgesetz zum Thema Terrorismus erneut überarbeitet, inklusive einer erweiterten Definition. Die Rechtfertigung von Terrorismus kann nun mit bis zu 3 Jahren Gefängnis bestraft werden. Dafür können die Behörden auch Untersuchungshaft anordnen.(9)
Wer ist die Institution, die verantwortlich dafür ist terroristische Verbrechen zu verurteilen?
Eine Organisation, die extra für diese Aufgabe gebildet wurde. Terroristische Verbrechen fallen in Spanien nicht unter die Gerichtsbarkeit regionaler Gerichte. Sie unterliegen der Gerichtsbarkeit des nationalen Staatsgerichtshofs in Madrid.(10) Dieser wurde 1977 gegründet. Der Gerichtshof kann jede_n verurteilen der_die „ein Mitglied oder Unterstützer_in einer bewaffneten Gruppe ist.“(11) Daher verurteilt diese Instanz Verbrechen gegen die Krone, die die nationale Wirtschaft betreffen, organisierten Drogenhandel, Verbrechen, die ausserhalb des Nationalstaatlichen Territoriums begangen wurden, oder ausländische Strafgerichtsverfahren unter internationalem Recht (aber Spanien betreffend), als auch europäische Auslieferungen und Verhaftungen.
Die Existenz dieser Repressionsstruktur betrifft nicht nur Aktivist_innen. Jede Person kann einfach der Rechtfertigung von Terrorismus schuldig sein, unzulässiger Vereinigung oder Teil einer bewaffneten Gruppe … weil du nie weißt wann deine Perspektive und deine Meinung mit der der Rechtsinstanzen aneinandergerät.
Einige der letzten Fälle (der Staatsgerichtshof hat zwischen 2009 und 2015 1115 Fälle von Terrorismusverherrlichung eröffnet) die zeigen wie der Staat die Anti-Terror-Gesetze nutz um kritische Meinungen zu verbieten:
- 2014, wurde Pablo Hasel, ein Rapper angeklagt und verurteilt wegen Verherrlichung durch seine Texte (12)
- 2014, eine 21 Jährige wurde zu 12 Monaten Gefängnis verurteilt, den Ausschluss für sieben Jahre für staatliche Stellen, Behörden oder Agenturen zu arbeiten und sie musste alle Verfahrenskosten tragen … für einen geklebten ETA Aufkleber an einer Wand vor der Polizei(13)
- 2014 wurde Aitor Cuervo, ein Dichter, wegen Terrorismusverherrlichung zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt, wegen seiner Texte bei Twitter und Facebook (z.Bsp: Der Tod eines Arbeiters ist schmerzvoller als die Hinrichtung eines „pepero“ (Abgeordneten der rechten PP)(14)
- Cesar Strawberry, der Sänger der Band Def con Dos, war angeklagt mit der Forderung nach 20 Monaten Gefängnis durch die Staatsanwaltschaft wegen seiner Texte. Nachdem er zunächst ohne Verurteilung entlassen wurde,(15) verurteilte ihn das Oberste Gericht zu 2 Jahren Gefängnis ohne weiteren Prozess.
- Die Verurteilung der zwei Letztgenannten war Teil der Operation „Spider II und III“ – Operacion Araña, es gab eine Operation Spider I während derer 40 Personen wegen Verherrlichung von Terrorismus verfolgt wurden, die meisten wegen der Benutzung Sozialer Medien (16)
- Jose Valtonyc, ein Rapper, wurde ebenfalls kürzlich wegen Verherrlichung von Terrorismus angeklagt (er schrieb: „bewaffnete Besetzung von Marivent“, Marivent ist ein Schloss des spanischen Königs in Palma de Mallorca)(17)
- Los titiriteros sind Puppentheaterspieler_innen, die inhaftiert und isoliert wurden, wegen eines schlechten Witzes (ALKA-ETA). Dieser kann ebenfalls als Terrorismusverherrlichung nach spanischem Gesetz verstanden werden. Sie wurden ohne Verurteilungen entlassen.(18)
1992 erlaubte das Gesetz zur öffentlichen Sicherheit, im allgemeinen Sprachgebrauch auch das Corcuera Gesetz (Tritt gegen die Tür)(19), der Polizei den Zutritt zu privaten Häusern, wenn diese den Verdacht hatte, dass etwas illegales passierte (es wurde nach einem Jahr verboten, da es nicht verfassungsgemäß war); enthielt die Verpflichtung sich mit einem Ausweis zu identifizieren und die Möglichkeit festgenommen zu werden (nicht inhaftiert) ohne Anwält_in. Im Juli 2015 gab es eine Aktualisierung des Gesetzes, jetzt genannt: das Mordaza Gesetz (Tritt in den Mund) – die AUSSCHLIESSLICH mit der Zustimmung von Partido Popular (Volkspartei) umgesetz wurde, trotz starker Bedenken von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International(20) (PP brauchte keine weiteren Stimmen für die Durchsetzung, dank des fantastischen demokratischen Systems.) Dieses Gesetz erlaubt:(21)
- Abschiebungen von Migrant_innen.(22) – Das Ausländer_innen Gesetz wurde ebenfalls geändert, um Massenabschiebungen von Ceuta and Melilla zu legalisieren.
- Erstellen von Listen (Art 43.1) – und das Innenministerium kann diese internen Statistiken ein bis drei Jahre behalten.
- Polizeierklärungen sind ausreichend als Beweis in Fällen von respektlosem Verhalten.(Art 52).
- Vorbeugende Identifikation und Durchsuchungen (Art. 16). Und wenn du keinen Ausweis hast, kannst du bis zu sechs Stunden festgehalten werden.
- Die Polizei darf filmen … aber du nicht die Polizei.
- Enorme Einschränkungen der Versammlungsfreiheit.
Und … das Gesetz ist voll von Zweideutigkeiten und Lücken. Es ist nicht klar warum du beschuldigt bist oder warum das, was du getan hast illegal ist, weil die „Störung der öffentlichen Sicherheit“ (strafbar mit bis zu 600.000€) oder „Missachtung von Polizist_innen“ sehr subjektive Regelungen sind. Diese Art von Repression, ermöglicht durch dieses Gesetz, wird bürokratische Repression genannt. Der Staat schaffte Straftaten (es gibt zwei verschiedene Straflevel, geringfügig und schwer) ab und wandelt sie zu Straftaten, die immer noch im Rahmen des Strafgesetzes verhandelt werden (wie zum Bsp. wenn du angegriffen wirst und dann eine Person anzeigst) und Ordnungswidrigkeiten, die gegen die öffentliche Ordnung verstoßen. Diese sind nicht länger im Strafrecht enthalten. Du hast also keine rechtlichen Garantien (also die Garantie die ein_e Richter_in dir geben kann), weil die Polizei und/oder Behörden jetzt der_die Richter_in sind. In einigen Fällen sind dann Judikative und Exekutive das selbe.
Als Beispiel aufgeführt sind die Verstöße, die direkt mit einer Geldstrafe geahndet werden können:(23)
Zwischen 100-600€:
- Treffen in öffentlichen Räumen.
- Das Erklettern von Gebäuden.
- Besetzung oder dauerhafter Aufenthalt in Gebäuden, die nicht dir gehören.
- Besetzung von öffentlichem Raum.
- Das unansehnlich Machen von öffentlichen Gegenständen.
- Hausieren.
Zwischen 601-30000€:
- Demonstrieren vor dem Kongress, Senat oder Parlamenten.
- Verweigerung des Auflösens von Treffen.
- Verhindern von Räumungen.
- Widerstand gegen Behörden.
- Streikposten.
- Verbreitung von Symbolen von staatlichen Sicherheitsbehörden.
Zwischen 30001-600000€:
- Proteste in Telekommunikationsinfrastruktur.
- Feiern von öffentlichen Vergnügungen/Shows/Freizeitaktivitäten, die nicht bei Behörden registriert wurden.
- Illegale Demonstrationen.
Was passierte seit der Bestätigung des Sicherheits Gesetztes?
In der Zeit vom Bestehen des Gesetztes bis zum Februar 2016 wurden 40.000 Sanktionen registriert (18.3 Mio € Strafe) – 47% der Anzeigen waren wegen Drogen und 38% wegen öffentlicher Sicherheit. Die meisten der letztgenannten waren wegen Respektlosigkeit gegenüber Sicherheitskräften (30 Personen pro Tag während der untersuchten Zeit), strafbar zwischen 100-600€. Zu erwähnen ist hier, dass bei den behördlichen Fällen die Beschuldigung durch einen Beamten reicht um eine Geldstrafe zu erhalten.(24)
31/10/16 Ivan Fernandez erhielt eine Strafe durch die Ertzaintza (baskische Polizei) für das Tragen einer Jacke mit ACAB während einer Demonstration gegen das neue Bildungsgesetz in Bilbao.(25)
27/10/16 Verstrynge, Politikwissenschaftler, erwartet eine Verurteilung zu drei jahren Gefängnis, weil er während einer Demonstration gegen Felipe VI. festgenommen wurde.(26)
07/10/16 Eine Person wurde beschuldigt nachdem sie Beamte auf Facebook “mierdas de pikoletos” (Polizei Arschlöcher) nannte.(27)
22/07/16 Eine Person wurde beschuldigt nachdem sie Beamte auf Facebook „lazy bastards“ nannte.(28)
05/07/16 Eine Person erhielt eine Strafe, weil sie die Polizist_innen die einen Alkohotest bei ihm ihr gemacht haben “colega” (Typ) nannte.(29)
07/06/16 600€ Strafe erhielten 2 Aktivist_innen aus Cordoba, weil sie der Polizei ihre Personalien nicht gegeben haben, während sie sich darüber beschwert haben, dass PP Wahlwerbung an Schulkinder verteilte.(30)
23/05/16 Belen Lobeto wurde von der Polizei für das Tragen eines Beutels mit einem Katzengesicht mit dem Schriftzug “All Cats Are Beautiful” beschuldigt.(31)
21/05/16 600€ Strafe erhielt ein Journalist des Catalunya Radio, wegen zivilem Ungehorsam (die Polizei erlaubte Journalist_innen nicht das Gericht zu betreten).
06/05/16 Jose Manuel Rodriguez erhielt eine 600€ Strafe, weil er ein Video auf Youtube gestellt hat, das zeigt wie die Polizei in Cadiz Fisch verlangt.(32)
06/04/16 “Argia” Axier Lopez veröffentlichte ohne Genehmigung Bilder von einer Polizeioperation und erhielt eine 600€ Strafe. (Die Bilder zeigen die Festnahme von Naroa Ariznabareta)(33)
13/02/16 Die Polizei bestrafte die Bäckerin Emilia Navarrete, weil sie laut sagte, dass die Polizei nicht richtig geparkt hat, während sie in ihrem Bäckerladen Süßigkeiten kaufte.(34)
16/08/15 Eine Frau erhielt eine 800€ Strafe, weil sie ein Foto gepostet hat, welches ein Polizeiauto zeigt, das auf einem Behindertenparkplatz parkt.(35)
15/02/14 Repression gegen die Kommunistische Partei Spanien PCE: die Polizei überfiel das Soziale Zentrum 13 Rosas in Alcala de Henares (Madrid), sie inhaftierten zwei Menschen, Elena and Jesus, die immernoch auf ihr Verfahren warten und verletzten fünf weitere.(36)
Dezember 2015: Ein Mitglied der Plattform No Somos Delito (Wir sind kein Verbrechen) wurde festgenommen und verurteilt, wegen einer Demonstration gegen das Gesetz zur öffentlichen Sicherheit.
Eindeutig dienen die Verschärfungen in beiden Gesetzen, dem Anti-Terror-Gesetz (Erweiterung des Begriffs „Rechtfertigung von Terrorismus“, Entzug des Zugangs von Anwält_innen, Erhöhung der Inhaftierungszeit, Isolations- und Einzelhaft, Entzug von Kommunikation, Gefängnisverteilung) und dem der öffentliche Sicherheit (Bestrafung von Escratches(37), symbolische Aktionen, Protest, Recht auf Demonstrationen und Treffen) zum Erhalt des Status Quo und sind darauf ausgerichtet, soziale Kämpfe gegen diese Situation zu verhindern und jeglichen zivilen Ungehorsam zu unterdrücken.
*37 Escratches ist ein Begriff, der in Argentinien, Uruguay, Paraguay… und Spanien für eine direkte Aktion benutzt wird, bei der eine Gruppe von Aktivist_innen vor dem Haus oder Arbeitsplatz einer Person demonstriert, um diese Person bloß zustellen, gegen diese zu protestieren und die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, welche schlimmen Dinge diese Person getan hat.